Mit Mäusen schlafen und Ohne Geld nachhause - Unterwegs mit den Travel-Sisters
- masieb
- 30. Mai
- 9 Min. Lesezeit
2013: Dies ist die Geschichte von Estefi und Paulina, wie ich sie getroffen habe, ihrer Liebenswürdigkeit und der einzigartigen Freundschaft, die sie verbindet.
Wie sie ohne einen einzigen Cent aus Ecuador wieder nach Hause fanden, erfahrt ihr hier. Wo wir uns wieder trafen und wie man Fernet Branca mit Cola überlebt auch.

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Mompiche, Ecuador: Ein glücklicher Zufall
Alles begann, als ich einen Bus von Mindo in das nächste Dorf nahm und irgendwie nach Atacames gelangte, wo ein Bekannter auf mich warten sollte. Doch es gab weder Wellen zum Surfen noch einen Bekannten, und die Sonne näherte sich ihrem Untergang, was keine Zeit ließ, die Pläne zu ändern. Ich blieb also in Atacames.
Mein Pech wurde am nächsten Tag zu einem glücklichen Zufall.
Ich traf sie das erste Mal im Bus nach Mompiche. Sie kicherten ständig und sahen einfach wie dicke Freunde aus. Als der klapprige Bus sein Ziel im schlammigen Dorfzentrum erreichte, fasste ich mir ein Herz und tat so, als stünde ich ihnen zufällig gegenüber, als wir ausstiegen. Sicherlich suchten sie wie ich nach einer Unterkunft. Wir versuchten, für jeden Dollar zu verhandeln, denn die einfachen Unterkünfte spiegelten die Küstenidylle wider, lagen jedoch deutlich über den niedrigsten Standards, die wir bis dahin kannten. Wir feilschten mit allem und jeden, liessen uns auch ansprechen. Wie auf dem Basar, nur mit Schlamm vom tropischen Regen auf den Straßen. So durchstreiften wir das Dorf und versuchten, mit dem Argument, dass wir zu dritt reisen, in der Nebensaison ein günstiges Zimmer zu finden.
Schließlich fanden wir eine angenehme Unterkunft mit einem Vierbettzimmer, einer Außenküche und dem typischen ecuadorianischen Küsten-WLAN – gerade genug, um mit ausgeschalteter Kamera zu skypen.
Arena Loca
Estefi stammt aus Trenque Lauquen, einer Stadt etwa 500 Kilometer südöstlich von Buenos Aires. Sie war aktiver darin, eine freundschaftliche Reisebeziehung mit mir aufzubauen. Ich mochte es, sie anzusehen, da ihr Lächeln meine Stimmung aufhellte, nachdem ich einige traurige Abschiedswochen in Quito hinter mir hatte.
Das Mädchen mit den schwarzen Haaren und kaffeebraunen Augen prägte den Ausdruck „arena loca“, als wir einen Spaziergang zu einer kleinen Halbinsel südlich von Mompiche machten. Rote Krebse versteckten sich im Sand, sobald wir uns näherten, und kamen wieder hervor, als wir verschwanden. Anfangs fiel es mir schwer, ihren Akzent zu verstehen, und manchmal musste Paulina sie für mich in ein Spanisch übersetzen, dem ich folgen konnte. Dennoch schien Estefi immer ein Auge auf ihre "Reiseschwester" Pau zu haben.
Pau hingegen hatte eine magische Ausstrahlung, mit ihrer schüchternen Art und ihren strahlend blauen Augen, die mich glücklich machten, wenn ich meine Reisegeschichten zum Besten gab.
Wir drei hatten eine wunderbare Zeit miteinander, besonders an einem kleinen schwarzen Sandstrand auf der Halbinsel. Estefi und ich spielten wie Kinder im Sand, gruben unsere Beine in den eisenhaltigen Schlamm ein, während Pau etwas abseits stand, scheinbar darauf bedacht, unser Spiel nicht zu unterbrechen. Vielleicht dachte sie, dass zwischen Estefi und mir etwas laufen könnte. Fürs Protokoll: Ich habe nie etwas versucht, und die beiden können dies als erste bestätigen. Ich war einfach nur glücklich.
Ihre unzertrennliche Freundschaft bewunderte ich zutiefst, ebenso wie ihre Fürsorge füreinander. Sie waren beide bereit, maximale Unabhängigkeit zu erleben, und planten ihre Reise mit minimalem Vorlauf. Pau war etwas mehr der Hippie-Typ, während Estefi pragmatischer war. Trotz Unsicherheiten über ihre Zukunft strahlten beide Inspiration und Kreativität aus – ideale Reisegefährtinnen.

Couchsurfing auf Beton
Einen Tag später trampten wir von Mompiche in die nächste Stadt und schafften es bis nach Manta, teilweise auf offenen Ladeflächen von Kleinlastern, die Güter durch den Regenwald an die Küste transportierten. Die beiden hatten dort einen Couchsurfer gefunden, und ich bat sie, wenigstens für eine Nacht bei ihm unterzukommen, da ich eigentlich andere Pläne hatte.

Der Gastgeber ließ uns eine Weile in einem heruntergekommenen Imbissladen in der Nähe der Bushaltestelle warten. Obwohl er lustig und gesprächig war, wurde die Unterkunft schnell zur Herausforderung: ein kahler Betonboden ohne Matratze, getrennt von einer Vorhang-Toilette, und „bitte keinen Lärm machen oder die Spülung benutzen“. Doch wir machten das Beste daraus und breiteten unsere Kleidung und Schlafsäcke auf dem Boden aus.

Am nächsten Morgen wachte ich auf und sah eine Maus direkt neben meinem Kopf sitzen.
Ich schreckte hoch, und sie verschwand. Ein Bett aus Beton und eine Maus – gar nicht so schlimm, wenn man zwei liebenswerte Mädels an seiner Seite hat. Ich weiß noch, wie ich meine Siebensachen zusammenpackte und ihnen meinen Schlafsack überließ, weil der Raum recht kalt war und sie mir den abends aus dem Kreuz geleiert haben.
Ich sollte ihn auch bald wiederbekommen.
Ohne einen Mucks und ohne die beiden aufzuwecken verschwand ich aus dem Haus und nahm den nächsten Bus. Ich weiß nicht mehr wohin.
Im Hostel beklaut
Wir trafen uns später in Montañita wieder. Die beiden wollten dort für ein paar Wochen bleiben und arbeiten, um Geld zu sparen. Das bedeutete, dass ich bald Abschied nehmen musste. Weiter nach Süden, nach Peru wollte ich und sie blieben noch länger da. Länger als sie selbst bald geplant hatten.
Ich nutzte meine Reise-Melancholie als Ausrede, so oft wie möglich zu surfen. Ist das eigentlich gesund, wenn man sich immer wieder verabschieden muss? Was macht das mit einem?
Die letzten Tage verbrachte ich mehr Zeit mit Estefi, da Pau wegen einer Lebensmittelvergiftung ausfiel. Estefi wartete geduldig auf mich, während ich surfte, und wir machten zusammen Clips für Paus bevorstehenden Geburtstag. Ihre Fürsorge und Wärme brachten mich dazu, an meine Familie zu Hause zu denken.
Montañita, warnte ich sie, sei verführerisch mit seinen Partys und den Drogen. Dennoch verabschiedeten wir uns in bester Stimmung.
Ich zog also wieder davon.
Wochen später las ich, dass ihnen 1.500 Dollar im Hostel gestohlen wurden.
2013 reisten die beiden noch ausschließlich mit einem Batzen voller Bargeld, den sie unter Matratzen oder so versteckten.
Doch durch ihre Freundschaft schafften sie es, diesen Tiefpunkt zu überwinden, indem sie Sandwiches und Gelee-Shots an die anderen Backpacker verkauften, um weiterreisen zu können. Sie haben eine schwere Zeit gehabt, dort, wo andere den Urlaub ihres Lebens feiern.
Man kommt aus allem raus, wenn man die richtige Unterstützung und Willen hat.
Zwei Monate später traf ich sie in ihrer Heimat wieder.
Es waren Momente wie diese, die meine Reise prägten – voller Abenteuer, Freundschaft und unvergesslicher Erinnerungen.
Wo wir uns wiedertrafen und wie man Fernet Branca mit Cola überlebt erfahrt ihr im zweiten Teil.
Teil 2: zu viel Cola mit Fernet Branca
Ausschlafen in der Busstation
Die Busfahrt von Buenos Aires nach Trenque Lauquen war angenehm. Ich kam vor Sonnenaufgang an, und da meine beiden lieben Mädchen nicht sofort auftauchten, entschied ich mich, ein wenig Schlaf nachzuholen, den ich im Nachtbus verloren hatte. Also machte ich es mir auf einer Bank im Warteraum bequem.
Zur Verteidigung von Estefi, die zweimal ohne mich zu bemerken an mir vorbeilief, muss ich zugeben, dass ich mich seit unserem Treffen in Mompiche ziemlich verändert hatte. Kein Bart, keine langen Haare und keine Hippiekleidung. Schließlich war es Estefi dann doch möglich, mich beim dritten Vorbeigehen zu erkennen. Wir umarmten uns herzlich, und die Begrüßung war emotional und wärmend. Wieder fühlte ich mich so glücklich mit ihnen. Mit meinen Reiseschwestern auf Zeit.
Erster Halt: eine Bäckerei, um uns ein typisches argentinisches Frühstück zu gönnen – allerlei süßes Gebäck und Kaffee. Beide waren sehr früh aufgestanden, was unsere Müdigkeit erklärte, die langsam mit mehr Kaffee und Zucker verschwand.

Trenque Lauquen
Trenque Lauquen, im Südosten von Buenos Aires, ist eine Provinzstadt, die von kolonialen Truppen gegründet und durch die Repression der indigenen Mapuche, die einst in dieser Region lebten, geprägt wurde. Diese und mehr Informationen gibt es im städtischen Museum. Wir hielten sogar am Besucherzentrum an, um zu sehen, was man in der Stadt tun könnte, deren Straßen einen geplanten rechtwinkligen Verlauf haben und die hauptsächlich von Mittelstandshäusern bebaut ist. Estefi war überrascht und ebenso glücklich zu erfahren, dass es in ihrer Stadt tatsächlich mehr zu tun gibt, als nur Freunde zu treffen und Grillfeste zu veranstalten. Ich konnte ihren regionalen Stolz sehen, als sie die Broschüren immer wieder durchging.
Wir trafen einige ihrer Freunde, um Fleisch für das Grillen zu besorgen, und kurze Zeit später standen wir zusammen in ihrem Haus und versuchten, die tiefgefrorenen Fleischstücke wieder in die riesige Gefrier-Truhe zu bekommen.
Später besuchten wir ein kleines städtisches Theater und begannen auf der Bühne zu tanzen – ganz ohne Musik. Die Mischung aus hohem Blutzuckerspiegel und wenig Schlaf hielt uns den ganzen Tag lang zum Lächeln. Unbekümmert wie Kinder spielten wir im städtischen Spielplatz, der aus alten, rostigen Traktoren und allerlei Klettergerüsten und Schaukeln bestand.
Die Provinz versucht aktiv, ihre friedliche Atmosphäre mit Golf und anderen Freizeitaktivitäten zu vermarkten. Estefis Mutter fuhr uns zu einem nahegelegenen See, an dem sie planten, ein Bootsverleihgeschäft aufzubauen.
Was mich beeindruckte, war die Stille und der Frieden, den ich dort erlebte – fernab von all der Hektik der niemals schlafenden Metropole Buenos Aires. Hier besitzen die Leute Land, bauen ihre Häuser und folgen einfachen Lebensstrukturen, die wenig Raum für die Selbstverwirklichungsbedürfnisse von Träumern wie uns lassen. Hier heiratet man, bekommt Kinder und lebt, wie es schon vor langer Zeit festgelegt wurde. Hier gibt es jeden Sonntag Grillfeste, und die meisten Bewohner hängen mit denselben Menschen ab, mit denen sie schon zur Schule gingen. Perspektiven kommen oft von der älteren Generation in familiengeführten Unternehmen.
Auf der anderen Seite schien es, als ob Estefi mit sich selbst ein kleines Dilemma hatte. Sie war glücklich mit ihrem neugeborenen Neffen und den Zukunftsplänen ihrer Familie, aber die Frage bleibt, ob das auch wirklich der Weg ist, den sie für ihr Leben möchte.
Wer weiß das schon in diesem Alter?
Wir genossen das Ende des Tages auf ihrem Land, lagen im Gras, erzählten uns Geschichten, tranken Mate und lauschten den Vögeln. Die Hacienda war hunderte Jahre alt und lud uns ein, in Träumen von unseren nächsten Reisen zu schwelgen. Es war angenehm warm draußen, und wir ließen den erfrischenden Wind vorbeiziehen.

Grilltag
Jeden Sonntag, so Estefis Vater, ist Grilltag. Die meisten Menschen in der Stadt laden ihre Familie ein, machen ein schönes Feuer und grillen Fleisch auf die traditionelle Weise. Da ich in Argentinien war, musste ich einfach an diesem Fest teilnehmen, das mit dem besten Fleisch der Welt gefeiert wurde. Jeder Bissen war so saftig – einfach ein Handwerk, das über Generationen perfektioniert wurde.
Wir setzten uns gemeinsam mit Estefis Familie an den Tisch. Stolz stellte sie mir ihren Neffen, ihre Schwester und ihren Bruder vor.
Als alle vom Tisch aufstanden, um sich zu erfrischen oder zu duschen, blieben Pau und ich mit dem Baby zurück. Wir räumten den Tisch ab, als wir zu viel Lärm machten und das Baby aufwachte. Natürlich fing es an zu weinen, und Pau versuchte ihr Bestes, um es zu beruhigen, aber wir waren beide einfach zu unerfahren.
Estefi kam aus dem Bad, eilte die Treppe hinunter, nahm ihren Neffen und legte ihn sich wie eine Mutter auf den Körper. Pau hatte es vorher auch versucht, aber als nun die junge Tante das Baby in die Arme nahm, beruhigte sich der Kleine sofort,
was uns ein Lächeln und die Gewissheit bescherte, Estefi als zukünftige Mutter gesehen zu haben.
Ab diesem Moment wagten wir es nicht mehr, Lärm zu machen.
20Km/h mit Fernet im Blut
Wir wollten trotzdem noch in die Clubs, also führte uns Estefi in den besten Club des Ortes, den ihre ehemaligen Schulfreunde besuchten. Sie ließ mich einen Mix aus Cola und Fernet Branca probieren. Obwohl ich noch ein weiteres Glas trank, mochte ich es nicht.
Als die Band anfing zu spielen, wechselte ich zum Bier.
Wir hatten eine tolle Zeit, Estefis Freunde kennenzulernen. Wir tanzten weiter zu den Cumbia-Klängen bis weit nach Mitternacht.

Pau verließ uns früher mit einem Typen, sodass wir alleine nach Hause fuhren.
Estefi war ziemlich betrunken, aber sie versicherte mir, dass sie es bis nach Hause schaffen würde, da die Polizei nachts nicht besonders motiviert sei, Fahrer anzuhalten. Wir kamen sicher an, indem wir die Geschwindigkeit auf 20 km/h begrenzten und beide mit Alice-im-Wunderland-Blick druch die Frontscheibe starrten. Estefis Nase war so nah an der Scheibe, dass sie über das Lenkrad hinwegsehen musste. Doch zusammen schafften wir es sogar, das Auto ohne Unfälle zu parken.
Wir torkelten hinein, umarmten uns fest, schauten uns für einen Augenblick in unsere glasigen Augen und sagten "Gute Nacht".
Abschied
Ich hatte mein Ticket zurück nach Buenos Aires für den frühen Morgen gekauft, also hatten wir nur noch wenige Stunden, um den Alkohol aus unserem Blut zu bekommen – was uns jedoch nicht gelang.
Am Morgen machte ich mich bereit zur Abreise, bemerkte die Mädchen und sah, dass Pau noch in ihrem Bett schlief. Sie war also gerade erst zurückgekommen. So waren wir alle drei zusammen für den letzten Teil eines wunderbaren Abenteuers, das vor zwei Monaten in einem Land begann, das 14 Tage Fahrt mit Nachtbussen von Trenque Lauquen entfernt ist, der liebenswerten, ruhigen Provinzstadt im Südosten Argentiniens.
Ich wünschte ihnen alles Glück für all ihre zukünftigen Ideen, für das Verfolgen ihrer Träume und ihre nächsten Reisen. Sie waren so lieb miteinander, und ich konnte mir nicht vorstellen, sie irgendwann getrennt zu sehen.
Einige Monate später kam Pau zurück nach Polen. Die beiden Mädchen planen, 2015 zusammen zu reisen.
Ich denke, das ist es, was wir Reisenden alle teilen: Erinnerungen an die Menschen, die wir getroffen haben, und die Sehnsucht, sie wieder zu treffen, wo immer sie sind.
Was aus ihnen geworden ist, weiß ich nicht genau. Nur der Facebook-Status verrät: Estefi hat sich für das Familien-Leben entschieden, das wir an diesem Abend schon in ihr gesehen haben.
Pau lebt vielleicht in Paris, als Lehrerin…ich weiß es nicht.
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